Gewaltige Naturkräfte und der Mensch formen den Vinschgau und die Gestalt der Landschaft. Gegensätze prägen das Gesicht und schaffen unverkennbare Züge aus Licht, Schatten, trocken und nass in einem imposanten Bergrelief.Wind und die Niederschlagsarmut geben dem Ost-West Quertal seine Sonderstellung. Feuchte Luftmassen aus dem Mittelmeer oder dem Atlantik vermögen nur eine geringe Menge ihres Wassers an der breitesten Stelle der Alpen über die hohe zentrale Gebirgsaufragung bis in den Vinschgau zu tragen. Stauregen nördlich und südlich der Alpen „melken“ die Wolken in den randalpinen Zonen förmlich aus.

Während es mit Nordströmungen andernorts regnet, weht im Vinschgau unerbittlich der „Vinschger-Wind“, ein Föhnwind, der den Luftdruckausgleich zwischen Luftmassen herstellt, auf seinem Weg durch das Tal vom Reschenpass kommend die Luft erwärmt, für geringe Bewölkung und gute Besonnung sorgt und damit dem Tal bei nur 450–700 Millimeter Niederschlag den trockensten Klimacharakter in den Ostalpen aufdrängt.
Die Ost-West-Ausrichtung des Tales fördert die Ausbildung einer eher kühlen Schattenseite mit dunkelgrünen Nadelwäldern, wo im Winter wenige Sonnenstrahlen die Hänge berühren.

Im Gegensatz dazu die südexponierte Talseite. Goldgelb, sonnen-gezeichnet, braun und steinig, eingeschnittene Täler, karge Landschaft mit Felsen, ausgebeutet erscheint sie mit ihrer geringen Bewaldung. Der Mensch nutzt diese Sonnenhänge bereits seit vorrömischer Zeit. Kuppen und Hügel am Hang waren die Rückzugsorte oberhalb des unbewohnbaren, sumpfigen Talbodens und zeugen von einer uralten Siedlungsgeschichte.

Brandrodung und Raubbau durch Schaf- und Ziegenweide ließen einen fast 500–700 Höhenmeter breiten und 40 km langen baumlosen Streifen entstehen. Der Wald konnte sich aufgrund des Weidedruckes nicht mehr regenerieren. Die Hänge mit täglichen Temperaturschwankungen von 50 °C und Bodentemperaturen auch über 65 °C verhagerten und wurden zur mediterran anmutenden Steppenlandschaft.

Der Überlieferung nach soll Venedig auf gerodeten Bäumen des Sonnenberges errichtet worden sein. Sicherlich wurde Holz bis nach Venedig verkauft, der Nachweis, dass Venedig auf Vinschger Holz gebaut wurde, konnte nicht erbracht werden.

Quellaustritte sowie Neigungs- und Expositionswechsel schaffen kleinräumig zahlreiche ökologische Nischen und sorgen für einen raschen Wechsel des Vegetationsbildes. Eingewanderte Steppengräser aus pannonischen Bereichen in Westeuropa und zahlreiche Pflanzenarten, die hier ihre nördlichste Verbreitungsgrenze finden, prägen die Landschaft und garantieren die unglaubliche Artenvielfalt an Pflanzen, die ihrerseits das Leben von Schmetterlingen, Vögeln und Echsen garantieren.

Die Aufforstung der Hänge mit Schwarzkiefer vom 18. bis ins 19. Jahrhundert versucht die Rodungsflächen zurückzuerobern und Naturgefahren zu bannen, schafft durch die Verdrängung der Steppenvegetation jedoch neue Landschaftszerstörung, die Arten verdrängt und ökologische Probleme mit einer nicht ortstypischen Baumart schafft.

Wasser ist das Lebenselixier dieser trockenen Landschaft, das nicht nur für eine Ertragssteigerung, sondern für eine Existenzsicherung in der Landwirtschaft sorgt. Die Waale transportieren als flach dahinfließendes Rinnsal über Kilometer das kostbare Nass von gletschergespeisten Bächen zu den durstigen Wiesen und Äckern und schaffen grüne, scharf abgegrenzte Kontraste zu unbewässerten braunen Flächen und lassen Höfe und Streusiedlungen hoch über der Talsohle am
Sonnenberg wie grüne Oasen erscheinen.

Der Vinschger Sonnenberg ist das Abbild vom Einfluss vieler Kulturen und dem Zusammenspiel von Klima und Natur.
Die unverkennbare Kulturlandschaft mit einer langen Geschichte von Überleben und dem Wirken zeigt auch das Scheitern und den schmalen Grad der Existenz in den Ruinen zahlreicher verlassener Höfe. Die vergangenen Geschichten und Schicksale sind vielfach vergessen, vom Wacholder überwuchert, aber dennoch sichtbar.

Wandertourismus und neue Anbauformen mit Bewässerungsleitungen bringen Existenzsicherung für die Zukunft.